Pastor Andreas Wendt

Synoden können irren – Kontext

Im vorigen Beitrag habe ich gefragt, was Luthers Zitat, dass auch Konzilien irren können, eigentlich für das Selbstverständnis von Synoden bedeuten könnte, und kam zu dem vorläufigen Schluss: Alles und nix. Die Einsicht in die eigene Irrtumsfähigkeit macht es überhaupt erst sinnvoll, demokratisch abzustimmen. Und der Hinweis, dass auch Synoden irren könnten, ist als Kritik an ihnen bloß ein Allgemeinplatz.

Was ich mich bis zur inflationären Verwendung (2x in einem halben Jahr ist kirchengeschichtlich ziemlich oft!) des Zitats nie gefragt hatte, ist, ob Luther hier eigentlich angemessen zitiert wird. Also in welchem Zusammenhang hat er das gesagt, und inwiefern lässt es sich auf heute übertragen?

Die Irrtumsfähigkeit von Päpsten und Konzilien hat Luther an zwei prominenten Stellen ins Feld geführt. (Vgl. auch Spehr, Luther und das Konzil)

Der Satz „Auch Konzilien können irren“ (nach anderer Zitierweise „auch Konzile“, aber was soll’s?) fiel vermutlich bei der Leipziger Disputation 1519: Material ging es in der Leipziger Disputation vor allem um den Primat des Papstes, der ja auch nicht immer spannungsfrei mit dem Anspruch der Konzilien war. In diesem Zusammenhang stellt Eck Luther in die Nähe von Ján Hus, der ja auf dem Konstanzer Konzil als Ketzer verurteilt worden war. Luther weist diesen Vorwurf nicht von sich, sondern vielmehr darauf hin, dass einiges von Hussens Schriften gut christlich sei. Das Urteil des Konzils allein sei noch kein Grund, diesem auch zuzustimmen, denn „auch Konzilien können irren“.

Von Eck war das nicht ungeschickt, denn in der alten Konkurrenz zwischen Papst und Konzilien hat er es geschafft, Luther eine Kritik an beidem zu entlocken. Luther konnte aber an der Kritik an beidem gut festhalten, da er den Primat der Schrift gegenüber jeder menschlichen Autorität – egal ob Papst oder Konzilien – betonte.

Eck ging es im Zusammenhang mit Hus wohl vor allem um dessen Kritik am Papsttum, Luther um die Ablasskritik und das Schriftverständnis. Entscheidend ist aber, dass Luther, der zu dieser Zeit immer noch auf ein klärendes Konzil hoffte, hier nun auch die Begrenztheit von dessen Entscheidungen betont und sich ein auf der Schrift begründetes abweichendes Urteil erlaubt.

Das zweite Mal war es 1521 auf dem Reichstag zu Worms, als er aufgefordert worden war, seine Schriften zu widerrufen. Seine oft zitierte Antwort lautete:

Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir. Amen.

Luther führt hier das Argument, dass Papst und Konzilien geirrt und sich selbst widersprochen haben, als ein fast selbstverständliches ein. Beispiele nennt er nicht. Die Tatsache früherer Irrtümer ist für ihn keine grundsätzliche Kritik an den Institutionen.  Luther gesteht ja an dieser Stelle auch die eigene Irrtumsfähigkeit zu, da er es für möglich hält, durch Schrift und Vernunft widerlegt zu werden. Die Irrtümer von Päpsten und Konzilien sind lediglich ein Grund, nicht allein wegen ihrer Entscheidungen seine Schriften zu widerrufen.

Auf heutige Debatten bezogen: Noch nie ist m.W. in der Geschichte der Evangelischen Kirche ein Kritiker oder Minderheitenvertreter einer Synodenentscheidung dazu aufgefordert worden, seine Worte zu widerrufen!
Anders als Luther und seine Gegner „bleibt man im Gespräch“ – oder auch im Dissens. Aber es wird kein Bruch vollzogen. Aber wer nicht zum Widerruf aufgerufen wird, muss auch nicht darauf hinweisen, dass er allein wegen eines Synodenbeschlusses nichts widerrufen wird. Und außerhalb dieses Kontextes ist das Zitat sehr wenig brauchbar.

Auf eine Ironie der Geschichte weist O.H. Pesch hin: Die Autorität des Konstanzer Konzils ist heute auch unter katholischen Kirchenrechtlern umstritten.

Eine andere Ironie freilich ist noch spaßiger:
Wer heute Synodenentscheidungen (und bitte immer Lettland und Baden zusammendenken, sonst wird es politisch!) nichts anderes als das Leipziger Lutherzitat „Auch Konzilien / Synoden können irren!“ entgegenhält, tut formal genau das, was Luther in Worms kritisiert hat: Allein unter Berufung auf eine irdische Autorität und ohne Schrift- und Vernunftgründe einen Widerruf fordern.

Im weiteren Nachdenken wird in beiden Fällen meistens dann doch mit Vernunft und Schrift argumentiert. Oft konnte dies zu einem vertieften Verständnis für die jeweils andere Meinung führen, allerdings ohne dass die Argumente an das Gewissen herankamen, das für die Entscheidung mit tragend war. So musste der Dissens bestehen bleiben – meist, ohne sich zu trennen.

Aber dann hätte man auch auf das plakative und noch dazu völlig unstrittige Zitat verzichten und gleich zu anständigen Argumenten kommen können.

Man wird ja noch träumen dürfen.

(Meine Überlegungen werden mit ein paar Fragen Richtung Gegenwart vorläufig hier abgeschlossen.)

 

 

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